Bildungsgerechtigkeit herstellen und Lehrkräftemangel gemeinsam bekämpfen – Alle Akteure an einen Tisch!

13.05.2020

Stellungnahme des VBE NRW zum Antrag der Fraktion der SPD (Drucksache 17/7541)

Anhörung des Ausschusses für Schule und Bildung und des Wissenschaftsausschusses am 20.05.20

Der vorliegende Antrag der Fraktion der SPD nennt zahlreiche zutreffende Ursachen für den vorhandenen Lehrkräftemangel und verweist völlig zurecht daraufhin, dass diese schon seit Jahren bekannt sind. Die zitierte „Herkulesaufgabe“ gemeinsam anzugehen und konstruktive Lösungen zu finden ist Aufgabe der Gegenwart, wie sie eine Aufgabe der Vergangenheit gewesen wäre.

Die aktuelle Lage der Schulen, einen gelingenden Unterrichtsbetrieb mit dem Corona-Virus zu organisieren, wird die Versäumnisse der Vergangenheit und der Gegenwart noch stärker zutage treten lassen und drastisch den Lehrkräftemangel vor Augen führen.

Die im Antrag aufgeführten Daten zur Lehrkräfteversorgung in den unterschiedlichen Schulstufen machen deutlich, wie wichtig es ist, zeitnah zu handeln und die notwendigen Wege zu gehen, um allen Kindern und Jugendlichen eine qualifizierte Bildungslaufbahn in unserem Schulsystem ermöglichen zu können.

Gerade aus der Betrachtung der Reform der Lehrerausbildung in NRW seit 2009 ist es unverständlich, dass die Politik weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart die notwendigen besoldungsrechtlichen Konsequenzen gezogen hat – die Gleichwertigkeit in der Ausbildung wird nicht in der Bezahlung nachvollzogen. Hier gilt es, eine politische Entscheidung zu treffen und nicht den Gerichten dieses zu überlassen. Das ist nicht nur ein Zeugnis mangelnder Wertschätzung den Lehrkräften gegenüber, sondern auch Beweis einer inkonsequenten Schul- und Bildungspolitik.

Aus Sicht des VBE NRW müssen die einzelnen Schulstufen gesondert betrachtet und analysiert werden.

Der sehr große Lehrkräftemangel an den Grundschulen hat nicht nur mit der gestiegenen Zahl der Schülerinnen und Schüler zu tun, sondern auch mit der mangelnden Wertschätzung, die die Lehrkräfte an Grundschulen seit vielen Jahren erfahren. In den Grundschulen lernen alle Kinder zusammen. In dieser Schulform ist der höchste Grad an Differenzierung und individueller Förderung notwendig. Dennoch haben Grundschullehrkräfte eine hohe Unterrichtsverpflichtung mit 28 Wochenstunden, kaum Anrechnungsstunden bei einem Schlüssel von 0,2 und keine Beförderungsstellen im System.

Auch in den Schulstufen der Sekundarstufe I gibt es bereits jetzt einen Lehrkräftemangel. Das individuelle Fördern und die Vorbereitung auf die weitere schulische oder berufliche Ausbildung stehen im Mittelpunkt der anspruchsvollen Tätigkeit der Lehrkräfte. Der VBE NRW weist ausdrücklich darauf hin, dass der Lehrkräftemangel in den Schulstufen der Sekundarstufe I in den kommenden Jahren massiv zunehmen wird, da die großen Schülerzahlen aus den Grundschulen bald in die weiterführenden Schulen wandern werden. Für neue Lehrkräfte sind besonders zurzeit die Schulformen der Haupt- und Realschulen unattraktiv, da sie neben der hohen Unterrichtsverpflichtung von 28 Wochenstunden zudem die geringsten Beförderungsmöglichkeiten für Kolleginnen und Kollegen im Bereich der weiterführenden Schulen vorhalten.

Ausschließlich für die gymnasiale Oberstufe an Gesamtschulen und Gymnasien gibt es einen Lehrkräfteüberhang von 16.000 Lehrkräften in den kommenden zehn Jahren. Das mag auch daran liegen, dass Abiturientinnen und Abiturienten gerne die Schulform wählen, die sie gut kennen.

Wesentliche Aspekte sind sicherlich zudem folgende Faktoren:

  • Eingangsbesoldung mit A13Z,
  • eine geringere Unterrichtsverpflichtung (25,5),
  • mehr Anrechnungsstunden (Schlüssel von 1,2),
  • höhere Anzahl von Beförderungsstellen,
  • ein hoher Status in der Gesellschaft mit entsprechender Wertschätzung durch die Politik.

Es muss aber auch in diesen Bereichen festgestellt werden, dass es einen fächerbedingten Lehrkräftemangel gibt, hier ist v. a. der sogenannte „MINT“-Bereich betroffen.

An den Berufskollegs werden bis 2030 ca. 60.000 Lehrkräfte fehlen. Für diesen Bereich ist es dringend notwendig, ihn in das Bewusstsein der Abiturientinnen und Abiturienten und der Gesamtgesellschaft zu bringen. Die Möglichkeit des Studiums des Lehramts für die Berufskollegs ist in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vorhanden, ebenso wie das vielfältige System der Berufskollegs nicht so stark im Fokus der Öffentlichkeit liegt – auch eine Aufgabe der Politik auf diese Stärken hinzuweisen.

Zusätzlich gibt es einen erheblichen Lehrkräftemangel im Bereich der Förderschulen. Das Fehlen der sonderpädagogischen Lehrkräfte reißt nicht nur tiefe Löcher in den Förderschulen, sondern hinterlässt auch bleibende Spuren bei den Schulen, die die schulische Inklusion tragen. Hier sind v.a. die Grund-, Haupt und Realschulen aber auch die Gesamtschulen durch den Lehrkräftemangel mehrfach betroffen.

Der VBE NRW hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass allen Schulen in allen Schulstufen für eine qualitativ hochwertige Arbeit angemessene personelle, sächliche und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen müssen und dass besonders Schulen in sozialen Brennpunkten eine besondere Unterstützung benötigen. Es ist aus Sicht des VBE NRW notwendig, multiprofessionelle Teams an allen Schulen zu implementieren, beginnend mit den Schulen in sozialen Brennpunkten.

Das Projekt „Talentschulen“ der Landesregierung reicht nicht.

Der Lehrkräftemangel macht den Seiteneinstieg notwendig – eine Ausweitung der vorhandenen Möglichkeiten sollte dennoch nicht in Betracht gezogen werden. Dringlicher ist es, die Seiteneinsteigenden noch vor ihrem ersten Tag in einer Schule zu qualifizieren und sie durch hochwertige weitere Qualifizierungsmaßnahmen für den Lehrberuf fit zu machen. Es ist nicht nachvollziehbar und im Hinblick auf die Schülerinnen und Schüler nicht hinnehmbar, dass inzwischen an vielen Schulen Personen ohne Lehramtsbefähigung und ohne entsprechende Qualifizierung quer durch die Fächer unterrichten. Zudem ist bedenkenswert, dass gerade das Fundament des schulischen Lernens von originär ausgebildeten Lehrkräften zu legen ist.

Der VBE NRW steht prinzipiell für einen konstruktiven Austausch und die Möglichkeit gemeinsam in der Diskussion Lösungen zu finden, allerdings müssen schon jetzt flankierende Maßnahmen getroffen werden, um die Härten des Lehrkräftemangels für viele Schülerinnen und Schüler, Kolleginnen und Kollegen abzumildern.

Das bedeutet, dass deutliche und spürbare Zeichen der Wertschätzung an die im System befindlichen Lehrkräfte gesendet werden müssen, denn diese sind es, die schon jetzt mit dem Mangel umzugehen haben und gleichzeitig die besten Werbeträger für zukünftige Lehrkräftegenerationen sind – denen ausreichende Studienplätze an mehreren Standorten im Land zur Verfügung stehen müssen. Erste Schritte sind erkennbar, weitere müssen deutlich, schnell, konsequent und tragfähig folgen.

12.05.2020
Stefan Behlau
Vorsitzender

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